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Protokoll einer Geburt

 

von Ingrid Stahl

Heute ist Rana's 58. Tag. Um die Mittagszeit wird sie unruhig. Sie hechelt minutenlang, folgt mir auf Schritt und Tritt, sieht mich mit fragenden Augen an. Kann das schon der Beginn der Eröffnungsphase sein? Die Unruhe steigert sich im Laufe des Nachmittags. Vorsorglich informiere ich die Tierärztin und überprüfe ob alles Notwendige bereit liegt. Die Wurfkiste steht schon seit einer Woche an ihrem Platz. Nun breite ich frische Laken hinein. Neben der Kiste steht meine alte Küchenwaage, auf einem Hocker stapeln sich alte, saubere ausgekochte Laken. Ich stelle Eimer und Putztücher bereit, außerdem sterile Gummihandschuhe, Schere, Garn und Küchenpapier.

Gegen Abend locke ich Rana in die Wurfkiste. Sie bezieht ihr neues Reich. Aber es gibt ein Problem: Tenshi möchte auch hinein. Ich muß sie mit Gewalt hinausdrängen. Das Rana so ein herrlich großes Lager bekommt und sie nicht mit hinein darf, kann sie nicht begreifen. Auch Nico, der Pudel, liegt neben der Kiste und staunt über das ungewöhnliche Treiben.

Jetzt geht das große Warten los. Die Temperatur war schon am Morgen auf 37,4° gefallen, steigt um die Mittagszeit etwas an und beträgt am Abend wieder 37,4°. Auch das deutet darauf hin, daß es bald so weit sein wird. Noch eindeutiger aber ist das Scharren und Nest bauen. Diese Triebhandlung verstärkt sich im Laufe des Abends. Rana bekommt dabei einen etwas irren, abwesenden Blick und arbeitet wie besessen. Sicher hilft diese Betätigung die Geburtswege zu öffnen. Gegen 21.30 Uhr verliert sie etwas Schleim. Das Gesäuge ist jetzt sehr prall. Wir machen einen kleinen Spaziergang, damit sie sich lösen kann. Danach schläft sie eine Stunde lang. Dann geht es wieder los: Hecheln, Scharren, Nest bauen. Um 23.35 Uhr geht plötzlich ein Schwall hellgrüner Flüssigkeit ab. Das muß das Fruchtwasser sein, nun wird wohl bald der erste Welpe kommen. Ich warte, aber nichts geschieht. In Panik rufe ich die Tierärztin an: Der Welpe steckt bestimmt im Geburtskanal und erstickt. Die Tierärztin beruhigt mich: Erst wenn dunkelgrünes Fruchtwasser abgeht ist es so weit.

Kurz nach Mitternacht machen wir wieder einen Spaziergang und Rana löst sich erneut. Bis jetzt waren die beiden anderen Hunde mit dabei. Jetzt sperre ich sie weg, nicht weil Rana etwas gegen deren Anwesenheit einzuwenden hätte, sondern weil ich selber zu nervös bin.

Um 0.20 Uhr geht dunkelgrünes Fruchtwasser ab. Nun muß doch endlich der erste Welpe kommen. Ich warte und werde immer aufgeregter. Wieder rufe ich voller Panik die Tierärztin an. Sie beruhigt mich. Noch besteht kein Grund zum Eingreifen. Ich habe gerade den Hörer aufgelegt, da sehe ich wie Rana die Hinterläufe gegen den Rand der Wurfkiste stemmt und preßt. Eine dunkle Blase erscheint. Sie preßt wieder und das ganze wie in Cellophan gewickelte Paketchen gleitet heraus, viel größer als ich erwartet hatte, gefolgt von einem Schwall Fruchtwasser und Blut. Rana schlürft und schmatzt und ich versuche einen großen Teil der Flüssigkeit mit Tüchern aufzufangen, während Rana die Fruchthülle ableckt. In der Hülle sehe ich etwas Weißes schimmern. Wird Rana den Welpen selber auspacken? Sie kneift in die Hülle, wieder ein Schwall Flüssigkeit und da liegt er, der erste in meinem Zwinger geborene Welpe, ein Pinto. Es ist 0.55 Uhr.

Rana putzt und leckt, aber noch hat sie das zappelnde, niesende Wesen nicht abgenabelt. Ich möchte ihr so gerne diese Aufgabe abnehmen, wie leicht könnte sie den Welpen verletzen. Aber dann überlasse ich es doch meiner Hündin. Entsetzt sehe ich, wie sie dicht an dem kleinen Bäuchlein an der Nabelschnur nagt und kaut. Und dann ist es geschafft, eine Handvoll Akita liegt auf dem sauberen Laken, das ich der Hündin inzwischen untergeschoben habe, und strebt der mütterlichen Wärme zu. Doch da kommt auch schon die Nachgeburt und wird von Rana verzehrt. Wieder wechsele ich die Tücher. Nun macht Rana sich daran, den Welpen trockenzulecken. Noch weiß ich nicht ob es ein Rüde oder eine Hündin ist. Ich hatte gar nicht daran gedacht nachzusehen. Erst als ich die Daten in meinem Protokoll vermerken will fällt es mir ein und ich sehe endlich nach.

Es ist ein Rüde, doch ich bin erstaunt, daß der „kleine Unterschied“ gar nicht so leicht zu erkennen ist. Eine halbe Stunde später ist der Welpe schon fast trocken und liegt eifrig schmatzend an Ranas Gesäuge. Sie hat den Kopf dem Welpen zugewandt und betrachtet mit verwundertem ungläubigen Ausdruck dieses kleine Wesen, das sie zur Welt gebracht hat. Ich koche mir Kaffee und auch Rana bekommt eine Schale verdünnten Kaffee, den sie lieber trinkt als das klare Wasser, das ich ihr auch anbiete.

Ähnlich wie die erste verlaufen auch die weiteren Austreibungen. Die Welpen kommen im Abstand von ein bis zwei Stunden, nur ein totgeborener Welpe kommt schon 12 Minuten nach seinem Vorgänger. Jetzt sehe ich Rana zum erstenmal unsicher. Sie sucht den toten Welpen, den ich ihr weggenommen habe, und vergißt den zuvor geborenen Welpen. Ich muß den kleinen Kerl trockenreiben und die Nabelschnur abbinden, die etwas nachblutet.

Gegen Morgen liegen vier Welpen in der Wurfkiste, zwei Rüden und zwei Hündinnen. Rana liegt entspannt in der Wurfkiste und säugt ihre Kinder. Doch dann richtet sie sich wieder auf, sieht mich unruhig an, steht auf, scharrt, dreht und windet sich. Ich glaube nicht, daß sie schon leer ist. Um 9 Uhr rufe ich die Tierärztin an und bitte sie zu kommen. Sie kommt und tastet die Hündin ab. Nein, ein Welpe sei nicht mehr drin. Ob ich sicher sei, daß alle Nachgeburten ausgestoßen wurden. Nein, ich bin nicht sicher und Rana bekommt eine Wehenspritze. Nichts passiert. Wir sitzen und warten. Schließlich wird Rana wieder unruhig, und wirklich erscheint noch eine Nachgeburt. Endlich ist alles überstanden und ich kann mich daran machen aufzuräumen. Ich versuche Rana zu einem Ausgang zu überreden. Doch freiwillig kommt sie nicht mit, ich muß ihr ein Halsband umlegen und sie mit Gewalt hinausführen damit sie sich lösen kann.

Nico und Tenshi beschnuppern aufgeregt die junge Mutter. Während der Nacht durften sie zwei-, dreimal an die Wurfkiste kommen und den Familienzuwachs begutachten. Sehr begeistert waren sie allerdings nicht.

Nach dem Spaziergang biete ich Rana die erste Mahlzeit nach dem Werfen an. Aber sie mag nicht fressen. Da ich nicht so früh mit dem Wurf gerechnet hatte, habe ich nichts besonders Leckeres besorgt. Ich bitte meine Cousine, mir ein Kilo Tartar zu besorgen, da ich die Wöchnerin noch nicht allein lassen möchte und meine Tiere sollen doch ein kleines Festmahl bekommen. Zu sehr vermenschlicht? Sicher! Aber wer die Freundlichkeit meiner Tiere im Umgang mit Menschen und untereinander erlebt hat, wird zugeben, daß meine Art Tiere zu halten nicht ganz falsch sein kann.

Im Laufe der nächsten Stunden wird Rana immer unruhiger: Scharrzwang, Hecheln, schließlich heftiges Zittern. Mit weit geöffneten, ängstlichen Augen sieht sie mich an. Jetzt wird mir klar was mit Rana los ist: Eklampsie. Wieder Anruf bei der Tierärztin. In dem Glauben, daß bei mir alles in Ordnung sei, hat sie den Anrufbeantworter eingeschaltet. Voller Angst, daß meine Hündin stirbt, packe ich Rana ins Auto und fahre zur Tierärztin nach Hause. Untersuchung. Nein, die Symptome deuten nicht auf Eklampsie hin. Sie vermutet einen Schwächeanfall, Rana müsse endlich etwas fressen. Ich lasse ihr trotzdem eine Kalzium-Spritze geben, aber die Wirkung ist nicht eindeutig. Ich fahre wieder nach Hause.

Inzwischen hat meine Cousine das Fleisch vor die Haustür gelegt. Ich mische das Hackfleisch mit Trockenfutter und jedes der Tiere (auch die Katzen) bekommt seine Portion. Diesmal lehnt Rana nicht ab. Mit Heißhunger frißt sie ihre Schale leer. Und wirklich wird sie jetzt ruhiger, legt sich wieder zu ihren Welpen und säugt entspannt die kleine Schar.

Inzwischen bin auch ich einem Schwächeanfall sehr nahe. Doch eine gute Mahlzeit tut auch bei mir ihre Wirkung. Ich würde gerne die Beine etwas hochlegen, doch noch kann ich mich nicht ausruhen. Die Laken müssen eingeweicht werden, Wurfkiste und Umfeld werden gründlich gereinigt. Schließlich wird der leicht zu reinigende Bodenbelag der Wurfkiste gegen einen Veloursbelag ausgetauscht, auf dem sich die kleinen Welpenfüße beim Saugen gut abstützen können. Als ich mich am Abend endlich zur Ruhe begeben kann, bin ich ununterbrochen 39 Stunden auf den Beinen gewesen. Trotzdem fühle ich mich nicht sehr müde.

Und Durchschlafen gibt es jetzt sowieso nicht mehr.

Während der nächsten Wochen bin ich beim geringsten Angstlaut der Welpen neben der Wurfkiste und schaue ob alles in Ordnung ist. Außerdem steht meine Hündin mindestens einmal in jeder Nacht neben meinem Bett und sieht mich so lange an bis ich wach werde. Wenn ich endlich aufgestanden bin führt sie mich zu ihren Welpen und ich sage ihr wie hübsch ihre Kinder sind und wie gut sie alles gemacht hat. Sie hört mir aufmerksam zu, als ob sie alles verstünde was ich sage. Wenn ich dann neben der Wurfkiste sitze und ihr beim Säugen zusehe, entspannt sie sich und seufzt zufrieden. Trotz der starken Lagerbindung hat auch ihre Bindung an mich nicht nachgelassen. Und so machen wir uns gemeinsam an die Aufgabe, die vier Winzlinge großzuziehen, zu gesunden und fröhlichen Hundekindern.